Fotografie von Hayo Heye und Wolfgang Hundertmark und Skulpturen von Berthold Grzywatz
Hayo Heye, zu Beginn der sechziger Jahre in Hamburg geboren, hat seine Ausbildung als Fotograf im Atelier Rosemarie Pierer in seiner Heimatstadt erhalten und später seine praktische Tätigkeit als Assistent bei Rudolf Schmutz Jr. vertieft. Seit 1988 arbeitet er als freier Fotograf. Mit seinen Werken war und ist er sowohl in zahlreichen Einzelausstellungen präsent als auch in Gruppenexpositionen vertreten. Genannt sei nur seine letztjährige Teilnahme an der RFXLN 07, der Landesschau für Fotoreflexionen in Schleswig-Holstein, die von der Stadtgalerie Kiel ausgerichtet wurde.
Wolfgang Hundertmark ist fotografischer Autodidakt, der sich der Nah-, Makro- und Naturfotografie verschrieben hat.
Hayo Heyes Werke treten als absurde Stillleben in Erscheinung. In der gesuchten Isoliertheit des Studios entstehen Arrangements von Objekten, die sich einerseits der Vielschichtigkeit der realen Welt verweigern, andererseits in ihrer inneren Logik, Ordnungen und Strukturen schaffen, mit denen das Sehen des Betrachters herausgefordert werden soll. Die komponierte Objektwelt will die Wahrnehmung freilich weder binden noch ihr vorgreifen.
Bei einem ersten Betrachten der Werke von Hayo Heye könnte man geneigt sein, an einer willkürlichen Auswahl der fotografierten Gegenstände zu denken. Eine Auswahl ohne Intention, Objekte ohne Inhalt. Das Verweigern von Titeln mag eine vordergründige Bildwelt suggerieren, in der das Sosein der Dinge in seiner Einfachheit Ausdruck findet. Eine solche Wahrnehmung bleibt indes im Oberflächlichen, denn Auswahl, Sorgfalt der Komposition und Komplexität des Arrangements, die Behandlung des Lichts sowie die bildnerische Nachbearbeitung sind als intentionale künstlerische Akte zu verstehen.
Sicherlich haben wir es nicht mit einer sachlich-realistischen Fotografie zu tun, die allein dem Abbildungsmechanismus verpflichtet ist. Nicht weniger treffen wir auf einen fotografischen Ansatz, der über eine technologieorientierte Darstellung des Lichts auf eine Erziehung der Sinne und damit auf die geistige Bildung des Menschen abzielt, wie er sich in der pädagogisch und anthropologisch fundierten Bauhaus-Fotografie eines Maholy-Nagy realisiert. Ebenso kann nicht von einer erzählerischen, auf das Atmosphärische konzentrierten Fotografie gesprochen werden, die den Blick in der Verbindung von Form und Inhalt über die Dinge auf den Menschen lenkt und Gefühle zu enthüllen sucht, was uns an Andre Kertesz denken lässt. Gleichwohl finden wir bei Hayo Heye eine inszenierte Fotografie vor. Banale Objekte werden ästhetisch in Szene gesetzt: experimentell, einfach, klar, vielleicht ungewöhnlich, reduziert auf die Form in einem Netz aus Licht und Schatten.
Mit den jeweils nur wenigen Bildelementen schafft Heye eine raffinierte Verwobenheit der Objekte, integriert er die abstrakten Formen. Die Alltäglichkeit der Dinge lässt das Fehlen von Bedeutung vermuten. Die Betonung des Objekts macht gleichsam dessen unbelasteten Charakter glaubhaft. Dessen ungeachtet darf jedoch ebenso wenig die Materialität der Gegenstände wie deren durch das Arrangement ausgelöste Interaktion vergessen werden. Und insoweit uns der Künstler nicht mit natürlichen, sondern industriell gefertigten Dingen konfrontiert, müssen wir diese Objekte als Ausdruck vergegenständlichter menschlicher Arbeit verstehen. Mithin wird über den demonstrativen Verweis auf die unbelebte Natur der Sachen sowohl auf menschliches Handeln als auch auf dessen wissendes Hervorbringen von Werken hingedeutet.
Das Werk aber, ungeachtet seiner Wiederholbarkeit in industrieller Fertigung, wie das am Werk sein des Künstlers, an dessen Ende etwas Unvertretbares, Individuelles steht, ist nicht der Zeit entrückt. Gegenstand, Handeln, Werk und am Werk sein entfalten sich im historischen Raum. Sie unterliegen wie die natürlichen Dinge ihren Voraussetzungen und Bedingungen. Dem Betrachter, auch dem Betrachter der künstlerischen Arbeit, kann dies nicht verborgen bleiben.
Nun hat Hayo Heye den ausgestellten Fotografien einen Gesamttitel gegeben – eine Werkreihe, die er, wie bereits erwähnt, als „Absurde Stillleben“ bezeichnet. Ein unverbindlicher Arbeitstitel? Ein spontaner Einfall im Studio? Ich glaube nicht. Wenn sich die Ordnung der Dinge im Absurden entfaltet oder gar selbst von der Absurdität ihres Seins künden, so begegnen wir, ob gewollt oder ungewollt, der Sinnfrage. Das Absurde ist der Vernunft widersprechend, zeugt von Sinnlosigkeit, widersetzt sich der Logik, verneint die herkömmlichen Gewohnheiten des Denkens.
Sehen wir die Dinge als Teil der Welt, drängt sich die Frage nach ihrem Charakter auf. Sehen wir sie als absurdes Leben, setzen wir uns ihrer Vernunftwidrigkeit aus. Die Erkenntnis der Sinnlosigkeit konfrontiert mit dem Scheitern des Menschen: Die Unfähigkeit, aus seiner Geschichte zu lernen, die endlose Kette von Gewalt und Zerstörung, das Verzweifeln an der eigenen Unzulänglichkeit und Schwäche zu durchbrechen. „Lab dich nicht an deiner Ohnmacht“, heißt es in einer Zeile der „Anweisung an Sisyphos“ von Hans Magnus Enzensberger, lassen sie uns in diesem Sinn auf die fotografischen Stillleben von Hayo Heye blicken und zwischen dem Unscheinbaren Wege aus der Ohnmacht finden.
Der uneingeschränkte Blick als künstlerischer Impuls verbindet Heyes Arbeiten mit den Werken von Wolfgang Hundertmark, die dem Thema „Information“ verpflichtet sind. Er greift die Frage nach dem manipulativen Charakter des Informationsnetzes und seiner Träger auf. Hundertmark geht so weit, dass er die technische Seite der Information hinterfragt und ihre Auflösung, wenn nicht gar Zerstörung, als Spiel zwischen Wissen und Nichtwissen inszeniert. Für das Spiel mit der Informationsvermittlung, der Verunsicherung des Empfängers durch Unbestimmtheit, Undurchsichtigkeit, Ungewissheit, Einschränkung oder Auslöschung wählt Hundertmark die Titel „White-Black-Out“ bzw. „Wipe-Knock-Out“ – also: das Diffuse und Dunkel, das Wegwischen und Zerschlagen. Die im fotografischen Werk umgesetzte Irritation will bewusst den Rezipienten beunruhigen.
Hundertmark wendet sich den analogen und digitalen Objektträgern von Informationen zu: dem Film, der Musik- und Videokassette oder der Schallplatte, der Diskette, CD oder der DVD. Wie beim Foto besteht ihr Ursprung aus einer Metainformation, die sich im Herstellungsakt realisiert, aber durch vielfältige Filter an den Nutzer gelangt. Durch mechanisches Einwirken im Wege der Farbgebung oder der Demontage hat Hundertmark die äußere Erscheinung der Träger verändert. Die Informationsträger besitzen demnach eine Doppelnatur: Sie sind einerseits durch Technik geleitete, auf Wiederholung angelegte Werke andererseits Schöpfungen singulärer künstlerischer Handlungen, die sich technischer Mittel bedienen.
Man mag dabei, wie angemerkt, an Manipulation denken, entscheidender scheint unterdes der mit dem Eingriff einhergehende Verlust an Information zu sein. Die Differenziertheit unserer Gegenwart besteht zu einem nicht geringen Teil aus der Unüberschaubarkeit von Daten, die dem Einzelnen das Verständnis für die Zusammenhänge unserer Welt verweigern. Der Erfahrungsraum des Individuums, sein situatives Erleben ist in einen prozesshaften Austausch mit der sozialen Umwelt eingebunden, der Kommunikation und Information unabdingbar einschließt. Der Verlust dieses Zusammenhangs, das Nicht-mehr-Lesen, Nicht-mehr-Hören-können, oder seine Beliebigkeit, ruft Probleme der Orientierung über das hervor, was wirklich ist. Macht möglicherweise, provokativ gesagt, unser Sein zur Illusion.
Den gezielten Verunsicherungen durch den Verlust von Bedeutung und dem Entleeren von Sinn treten die materialbetonten, mitunter das Weiß als stoffliche Hülle nutzenden Skulpturen von Berthold Grzywatz mit der Intention gegenüber, die Dinge und das gesellschaftliche Geschehen zwischen Gestern und Heute als Handlungsfeld zu verdeutlichen. Das „Freisehen“ unterliegt einer Perspektive, sich jenseits aller Beschädigungen den Herausforderungen der Gegenwart zu stellen.
In der Abstraktion des Werkes wird nach einer Sprache gesucht, die seine Bezüge zum Wirklichen, zum Konkreten herstellt. Mit anderen Worten: Das abstrakte Werk verfügt über eine sinnvolle Bedeutung, bezieht sich auf Konkretes, das ihm seine Bedeutung verleiht. Die sinnentleerte Welt, die Logik des Absurden, ist nicht durch eine passive Ethik zu überwinden, in der sich die Revolte als individuelle Selbstbehauptung darstellt. Ein zeitgemäßes Handeln aus Verantwortung ist vielmehr verlangt, das im zwischenmenschlichen Bezug verankert bleibt. Dazu dieser Beitrag.
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